Was führt wirklich zu Konflikten in Beziehungen? Ein Einblick aus der Paartherapie

 

Als Paartherapeut sehe ich täglich, wie alltägliche Streitigkeiten oft tiefere Ursachen haben, die über das eigentliche Streitthema hinausgehen. Hinter vielen Konflikten verbergen sich emotionale Muster und unbewusste Auslöser, die Auseinandersetzungen intensiver und emotionaler machen, als die Situation allein es erklären würde. Hier ein Einblick in die häufigsten Auslöser für Konflikte in Beziehungen und konkrete Beispiele, die diese Mechanismen verdeutlichen.

1. Unerfüllte Bedürfnisse und Erwartungen

Hinter vielen Konflikten stehen unerfüllte emotionale Bedürfnisse oder Erwartungen, die oft unbewusst bleiben. Jeder Mensch bringt Erwartungen in eine Beziehung – sei es das Bedürfnis nach Nähe, Sicherheit oder Anerkennung. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, entsteht Frustration, die sich im Streit entladen kann.

Beispiel: Max und Anna streiten oft über Annas Beruf. Max wünscht sich mehr Zeit mit ihr, spricht diesen Wunsch aber nicht direkt an. Stattdessen kritisiert er Annas Arbeitszeiten, was Anna verletzt und defensiv macht. Der wahre Grund ist jedoch, dass Max sich mehr Aufmerksamkeit und Nähe von Anna wünscht – ein unerfülltes Bedürfnis, das durch Kritik an ihrem Job ausgedrückt wird.

2. Unterschiedliche Kommunikationsstile

Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens einen individuellen Kommunikationsstil, geprägt von Familie und Erfahrungen. Während manche Menschen Konflikte direkt ansprechen, neigen andere dazu, sich zurückzuziehen. Solche Unterschiede führen oft zu Missverständnissen und erzeugen das Gefühl, nicht auf einer Wellenlänge zu sein.

Beispiel: Lisa ist es gewohnt, Probleme sofort anzusprechen, während ihr Partner Tim erst einmal Abstand braucht, bevor er über ein Problem sprechen kann. Als sie versucht, ein Problem anzusprechen, zieht er sich zurück, was sie als Ablehnung empfindet. Tim hingegen fühlt sich von ihrem Bedürfnis, alles sofort zu klären, überfordert. Die unterschiedlichen Stile führen hier zu einem Teufelskreis aus Rückzug und Drängen.

3. Das „Innere Kind“ und alte Verletzungen

Das innere Kind steht für alte emotionale Wunden, die wir oft unbewusst in Beziehungen mitbringen. Häufig reaktivieren Konflikte alte Verletzungen, die wir in unserer Kindheit oder in früheren Beziehungen erfahren haben. Der Partner wird so unbewusst zur Projektionsfläche für alte, unverarbeitete Emotionen.

Beispiel: Marie hat in ihrer Kindheit oft erlebt, dass sie ignoriert wurde. Wenn ihr Partner Stefan abends erschöpft ist und wenig redet, fühlt sie sich sofort abgelehnt und reagiert verletzt. Für Stefan ist dies unverständlich, da er sich lediglich nach Ruhe sehnt. Maries Reaktion ist eine Wiederholung ihrer Kindheitswunden – ein Beispiel dafür, wie das innere Kind Konflikte beeinflussen kann.

4. Machtkämpfe und das Bedürfnis nach Kontrolle

In Beziehungen entwickeln sich oft subtile Machtkämpfe, die das Bedürfnis nach Kontrolle widerspiegeln. Wenn einer der Partner das Gefühl hat, seine Bedürfnisse würden nicht wahrgenommen, entstehen oft Kämpfe um Anerkennung und Einfluss.

Beispiel: Tom und Julia diskutieren ständig darüber, wer die Ausgaben im Haushalt kontrolliert. Tom fühlt sich eingeschränkt, wenn Julia die Finanzen verwaltet, und reagiert häufig kritisch auf ihre Vorschläge. Julia wiederum möchte die Kontrolle behalten und sieht seine Kritik als Angriff auf ihre Verantwortung. Der Konflikt ist weniger eine Frage der Finanzen, sondern vielmehr ein Machtkampf um Kontrolle und Selbstbestimmung.

5. Ungeklärte Rollenbilder und Erwartungen

Unbewusste Rollenbilder und Vorstellungen davon, wie Partnerschaft „richtig“ funktioniert, spielen eine große Rolle in Konflikten. Diese Erwartungen entstehen durch Erziehung, kulturelle Einflüsse oder gesellschaftliche Normen und führen oft zu Missverständnissen, wenn sie unausgesprochen bleiben.

Beispiel: Lukas ist der Meinung, dass seine Frau Julia für die Hausarbeit zuständig ist, da er viel arbeitet. Julia erwartet jedoch, dass beide gleichberechtigt zur Hausarbeit beitragen. Beide bringen unbewusste Rollenbilder in die Beziehung, die zu Enttäuschungen und Spannungen führen, weil ihre Erwartungen an die Aufgabenverteilung unterschiedlich sind.

6. Stress und äußere Belastungen

Äußere Stressfaktoren wie Arbeitsdruck, finanzielle Sorgen oder familiäre Verpflichtungen erhöhen das Stressniveau und lassen die Toleranzschwelle in der Beziehung sinken. Dadurch werden oft Dinge in den Partner projiziert, die eigentlich aus einem persönlichen Stressfaktor stammen.

Beispiel: Laura hat eine anstrengende Woche im Job und reagiert gereizt auf Kleinigkeiten, die ihr Mann Peter macht. Sie kritisiert ihn wegen seiner Unordnung, obwohl das eigentliche Problem der Druck bei der Arbeit ist. Durch den Stress nimmt ihre Geduld ab, und Peter wird zur Zielscheibe für ihre angestauten Emotionen.

Konflikte konstruktiv lösen: Ein Ansatz aus der Paartherapie

Konflikte sind nicht das Problem – entscheidend ist, wie Paare damit umgehen. In der Paartherapie geht es darum, die tieferliegenden Bedürfnisse, Muster und Verletzungen zu erkennen und diese offen anzusprechen. Einfühlsame Kommunikation und Verständnis für die eigenen Reaktionen sowie die des Partners helfen, Spannungen abzubauen und Konflikte als Chance für Wachstum und Verbindung zu nutzen.

Fazit

Konflikte gehören zu jeder Beziehung, doch sie müssen nicht destruktiv sein. Indem Paare ihre persönlichen Muster erkennen und ihre Kommunikation verbessern, können sie Konflikte als Weg zur Stärkung ihrer Partnerschaft sehen. In der Paartherapie zeigt sich immer wieder, dass positive Veränderungen möglich sind, wenn beide bereit sind, sich gegenseitig zuzuhören und gemeinsam an der Beziehung zu arbeiten.

Herzliche Grüße, 

Martín Polo

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